Friederike Jessen über ihr halbjähriges Praktikum bei Hockey Village India
22.02.2013 - 13 Jahre Schule. Jeden Tag der geplante Alltag, ohne weitere Gedanken läuft alles seinen gewohnten Trott. Dann endlich das sehnlichst erwartete Abitur. Aber nur auf den ersten Blick, auf den zweiten Blick dachte ich mir dann direkt: was nun? Was soll ich denn jetzt mit meinem Leben anfangen? Direkt weiter zu lernen in einer deutschen Uni schien mir da als eine eher schlechte Idee. Ich wollte raus, was erleben, mich weiterbilden, anderen helfen und aber auf gar keinen Fall in dieser Zeit meinen geliebten Hockeysport verlieren. Nach ein bisschen Recherche fand ich ein Projekt, das mir unerwartet perfekt vorkam. Hockey village India.
Ein kleines abgeschiedenes Dorf im traditionellen und sehr ländlichen indischen Staat Rajasthan. In einer indischen Familie leben, Kindern Hockeytraining geben und sie in Englisch unterrichten - super, das nehm ich!
Kurz und schmerzlos setzte ich mich mit Andrea Thumshirn, der deutschen Gründerin dieses Projektes, in Verbindung und zwei Monate später ging's los.
Es ist keine Frage, dass man eine Zeit braucht, um sich an die veränderten Gegebenheiten zu gewöhnen, wie zum Beispiel Wasserknappheit und nur fünf Stunden Strom am Tag oder auch jeden Tag Reis und Gemüse zu essen. Doch wenn man erstmal drin ist, fängt man an, dieses Leben unglaublich zu lieben.
Die Mädchen und Jungs, die täglich zu uns auf den staubigen und mit Steinen versehrten Platz kommen, der nicht einmal die Größe eines Viertelfeldes hat, strahlen eine riesige Lebensfreude aus. Sie spielen in FlipFlops und die Mädchen größtenteils in traditioneller Suit, bekommen zu Hause manchmal nur eine richtige Mahlzeit am Tag und müssen häufig hart schufften. Doch sobald sie um die Ecke kommen, sich einen Schläger und einen Ball nehmen, fangen sie an zu strahlen. Wenn man in diese Gesichter schaut, geht die indische Sonne auf. Bei uns spielt es keine Rolle, zu welcher Kaste man gehört, wir sind ein Team, das Team Hockey village India aus Garh Himmat Singh.
Als Volontär habe ich knapp sechs Monate in eben diesem Dorf gewohnt. In einem alten Maharadja Fort, mitten drin in einer indischen Familie, die dann auch zu der eigenen wird. Man nimmt dieses Leben einfach an und erlebt Tag für Tag ein weiteres kleines Wunder. Der Morgen fängt ganz entspannt mit einem indischen Chai an, während man die über dem Dorf aufgehende Sonne beobachtet und zusieht, wie ein paar kleine Hockeyfanatiker eintrudeln.
Bereit für die erste Runde Sport am Tag. Schnell eine Krücke gegriffen und los geht’s. Egal ob klein oder groß, Hindu oder Moslem - hier wird jeder akzeptiert.
Hockey spielen auf unserem Platz beinhaltet die eine oder andere Tücke. Als deutscher, verwöhnter Kunstrasenspieler hat man hier eigentlich schon verloren. Die Kinder kennen jeden einzelnen der Steine, die die Bälle durch die Luft fliegen lassen, und umspielen mit einer Kunst die Hinterlassenschaften der Kuhherde, in die ein Neuling wie ich am Anfang doch das ein oder andere mal hineingeraten bin. Aber auch das ist kein Problem, man bekommt ein „good luck“ hinterhergerufen, und schon geht’s weiter.
Indien, das Land des „no problems“. Irgendwie weiß man sich immer zu helfen.
Auch wenn man mit den Kids am Bahnhof steht, um auf ein sehnlichst erwartetes Turnier in eine Stadt zu fahren, schafft man es natürlich ohne Probleme, mit 14 Kindern, Schlägern, Bällen und Torwarttasche in einen Zug hineinzukommen, der schon bei der Einfahrt in den Bahnhof aus allen Nähten zu platzen scheint. Was als weiße Frau eher Stress ist, ist für die Kinder das Größte.
Hinauszukommen in die große weite Welt. Zug fahren, ein Stadion sehen und auf Kunstrasen spielen.
Sachen, die uns selbstverständlich erscheinen, wie zum Beispiel Eiswürfel, wecken in den Dorfkindern helle Begeisterung. Man erlebt die totale Freiheit in Indien, hat keinerlei Probleme und nimmt das Unbeschwerte der Inder mit in sich auf.
Doch es ist nicht nur alles Zuckerschlecken. Man steckt seine gesamte Kraft in das Projekt, ist den ganzen Tag auf Trapp und wenn es mal aus dem Dorf geht, muss man sich von unendlich vielen Indern angaffen oder doof von der Seite ansprechen lassen.
Außerdem hat man am Anfang das Gefühl, dass die Kinder wie selbstverständlich alles hinnehmen. Sie bekommen einen Schläger, Bälle, Trikots, Schuhe und auf Fahrten wird von uns bis auf die letzte Rupie alles übernommen. Nur ganz selten bekommt man ein „thank you“, doch wenn man genauer hinsieht, bedanken sich die Kinder hier anders. Sie lächeln und nicken kurz mit dem Kopf. Wenn man dieses Lächeln sieht, weiß man ganz genau, warum man hier ist.
Die Erfahrung, wie wenig man im Leben braucht und mit wie wenig man total glücklich sein kann, hat mich als Person sehr viel weiter gebracht.
Das ein oder andere mal ärgert man sich verständlicherweise mit indischen Offiziellen rum, die immer einen Haufen an Papieren brauchen und deren Bearbeitungsdauer oft ein offenes Ende hat, doch irgendwie bekommt man es im Endeffekt doch hin.
Nach längerem hin und her haben wir nun auch Anfang Dezember unser neues Großprojekt - wir bauen eine Schule - angepackt. In einem alten Tempel den Weg vom Fort ins Dorf hinunter bauen wir eine Schule für unsere Hockeykinder, damit wir einfacher eine Trainingszeit für alle festhalten können und an Schulturnieren teilnehmen können. Außerdem lernen die Kinder, egal ob government oder private school, in ihren Schulen eher wenig. Unser Ziel ist es, die kleinen Köpfe anzuschalten und mit cleveren Kids großes Hockey aufzubauen. Desweiteren wird nicht jeder später sein Geld mit Hockey verdienen können, so möchten wir, dass sie zumindest bessere Voraussetzungen für einen guten Job bekommen.
Ich bin unglaublich froh, dass ich diese Entscheidung getroffen habe und nach Indien gereist bin. Ich habe auch die Möglichkeit bekommen, in Indien rumzureisen, doch ich trug immer das Gefühl in mir herum, wieder nach Hause zu kommen. Nach Hause nach Garh Himmat Singh. Die Menschen dort und die ländliche Umgebung waren meine Heimat und werden es immer ein Stück weit sein.
Egal was wieder Dummes oder Unvorhersehbares passiert ist, man schafft es immer, diesem etwas Gutes abzugewinnen. In manchen Situationen hatte man Stress und wollte einfach nur ins gepflegte Deutschland zurück, doch wenn man diese Situation überstanden hatte, blieb einem nichts anderes übrig, als darüber zu lachen und zu denken: stark, dass ich so etwas erleben durfte.
Man trägt die Weite Indiens in sich und lässt sich gerne den Wind durch die Ohren pusten, und trotzdem ist es kein Problem, mit einer kompletten Hockeymannschaft in einem 3-wheeler durch die Gegend zu fahren.
Ich werde nie vergessen, wie die ganzen Hockeykinder aus Garh Himmat Singh, unserem Hockeyvillage, zu meinem Abschied vor mir standen, mir gewunken haben und total gerührt waren und ein kleiner Junge auf mich zu lief, mich umarmte und meinte: „Thank you rieke! we all will be sad and you are my friend, please come back!“ Damit konnte ich guten Gewissens Abschied nehmen, ich habe jeden einzelnen in mein Herz geschlossen, sie haben mich akzeptiert und angenommen, wie ich bin und mir die Bestätigung gegeben, etwas gut gemacht zu haben, das alles mit einfachen Sätzen oder einfach nur einem breiten Grinsen.
Zuletzt möchte ich noch ein Zitat von einem Freund aus Indien nennen, das so ziemlich auf meine Zeit in Indien zutrifft: India is great. Sometimes great, sometimes greater!
Wer Interesse an einem Volontariat hat, sich einfach mal weiter informieren möchte oder Sach- oder Geldspenden möglich machen kann, kann sich gerne bei mir unter jessen@deutscher-hockey-bund.de oder direkt bei Andrea Thumshirn unter info@hockeyvillageindia.com melden.
Friederike Jessen (links) und Andrea Thumshirn (rechts) mit ihren Schützlingen vom Hockey Village India.